Nun ja. Da saß ich. Weinend auf der Couch. Aber ich habe nicht NUR geweint. Ich habe mich auch viel im Internet belesen. Ich gab in der Suchmaschine folgendes ein: "Hirntum...". Die Suchmaschine gab mir bereits einige Ideen. Ich belas mich tatsächlich vorerst in die Arten der Hirntumore ein - ja auch wenn man ein Grundwissen über Hirntumore als Pflegefachkraft hat, so hat mir unendlich viel Fachwissen gefehlt. Mir gingen die Worte des Arztes nicht aus dem Kopf. "Das Gewebe, was dort zu sehen ist, sieht nicht gut aus", so hieß es ja. Ich gelang also direkt zu meiner nächsten Eingabe in der Suchmaschine. Ich tippte: "bösartige Hirntum..." - die Vorschläge fielen. "Bösartige Hirntumore Lebenserwartung" kam als ein Vorschlag. Natürlich fiel mir genau dieser wie ein Dorn ins Auge und ich tippte darauf. Es wurde ein Textausschnitt gezeigt. Dort wurde von der Tumorart Glioblastom berichtet. "Die Lebenserwartung Betroffener liegt im Durchschnitt heute bei 15-20 Monaten" - da war es. Dies zu lesen gab mir für diese Nacht den Rest. Mein Herz begann wieder so arg zu rasen. Ich spürte den Herzschlag bis in den Kopf. Mir wurde zudem übel. Ich versuchte mich zu fassen. In meinem Bauch rumpelte es - nein es war nicht das, was man vielleicht zuerst denken würde, wenn man dies liest. Es war das Baby. Ich war zu diesem Zeitpunkt im fünften Monat schwanger mit unserem zweiten Sohn. Auch um ihn machte ich mir in diesem Moment Sorgen. Jedoch wurde mir durch die Bewegungen bewusst, dass ich da ja noch auf jemanden aufpassen muss. Somit wollte ich bewusst meine negativen Gedanken umlenken und fokussierte mich darauf irgendwelche positiven Dinge zu finden. Ich suchte im Netz gezielt nach guten Erfahrungen und Berichten von Betroffenen mit Hirntumoren. Ich stieß dann auf die Deutsche Hirntumorhilfe. Und liebe Leser*innen: Ich kann diese Anlaufstelle nur empfehlen! (Ich werde zu Anlaufstellen/ Empfehlungen auch separat nochmal einen Eintrag verfassen). Die Stunden vergingen. Irgendwann legte ich den Laptop dann doch zur Seite, da mein Kopf arg pochte. Ich hatte Hoffnung, dass der TV mich etwas von den ganzem Gedankenchaos ablenken kann. Der Morgen kam schnell. Unser Sohn kam gegen 7 Uhr in das Wohnzimmer und setzte sich zu mir. Geschlafen hatte ich nicht. Ich war aber auch nicht müde. Ich war einfach nur fertig. Unser Sohn animierte mich jedoch zum gemeinsamen Spielen. Ich sah ihn lachen. In mir kreisten tausende Gedanken. Mir war nicht nach lachen, aber ich lachte mit ihm. Später kam mein Mann aus dem Schlafzimmer zu uns ins Wohnzimmer und lief auf mich zu. Wir sprachen etwas, aber er merkte, dass ich sehr gefangen war - vor allem vor dem Kind. Ich wollte vor unserem Sohn nicht weinen. Mein Mann drückte mich und sagte zu mir, dass ich erstmal abwarten soll was wird. Er hatte recht. Es war aber so verdammt schwer. Ich griff zu meinem Handy und schaute, ob Mama vielleicht dann bereits am Handy war. Ich schrieb ihr, dass ich gegen Mittag kommen werde. Ich hatte mit dem Partner von Mama noch am Vorabend ausgemacht, dass ich ihn mitnehmen kann zu ihr. Ich besorgte noch Zeitungen und etwas zum Knabbern am Morgen. Mein Mann kümmerte sich um unseren Sohn. Gegen 11 Uhr fuhr ich Mamas Partner abholen und wir kamen gegen 11:30 Uhr im Krankenhaus an. Wir traten ins Patientenzimmer ein und sahen Mama auf ihrem Bett liegen. Sie setzte sich direkt auf und wirkte erfreut. Sie fragte uns, ob wir uns nicht vorne in den Besucherraum setzen wollen. Dies taten wir dann auch. Da es Mittagszeit war, bekam Mama dann auch das Mittagessen. Ich ging in der Zeit vorne ans Personalzimmer und erkundigte mich nach neuen Infos. Leider gab es keine. Es hieß nur, dass das MRT am Montag stattfinden würde. Ich fragte auch nach der aktuellen Medikation und wie Mama bisher so wirkte. Ich bekam sehr freundlich die nötigen Informationen mitgeteilt. Wir blieben noch etwas bis nach dem Mittagessen. Mama wirkte mit der Zeit etwas müde, sodass wir dann auch wieder los sind. Sie legte sich etwas hin. Wir sind so verblieben, dass ich dann nochmal am Abend zu ihr komme. Wie gesagt, so getan. Ich fragte sie vorab, ob es für sie vielleicht eine Ablenkung ist, wenn ihr Enkelchen mitkommt oder ob dies zu viel sei. Sie wollte ihn aber gerne sehen. So fuhren wir, mein Mann, unser Sohn und ich, nochmal gemeinsam am Abend zu ihr. Ich hatte stets den inneren Drang bei ihr sein zu müssen. Sofern ich nicht bei ihr war, so wollte ich jede Möglichkeit nutzen, um mich mehr über Hirntumore zu belesen. Ich versuchte mich aber auch weiterhin immer zu "setten" und nicht direkt vom schlimmsten auszugehen. Es lies mich trotzdem der Gedanke nicht los: Was ist, wenn es doch dieser schlimme, aggressive Tumor ist? Vor Mama zeigte ich bisher bezüglich der aktuellen Lage niemals meine Sorgen. Ich wollte ihr Zuversicht geben, dass die ganze Situation gut gehen wird.
Sonntags fuhren mein Mann, unser Sohn und ich gemeinsam in die Klinik am Vormittag. Mittags kam noch mein Bruder hinzu. Mama wirkte an diesem Tag etwas mehr "sie selbst". Die Wesensveränderung, welche sich die letzten Tage bemerkbar machte, nahm etwas ab. Mir war bewusst, dass dies das Kortison ist, welches seinen Beitrag zur Eindämmung des Ödems leistet. Wir gingen an diesem Tag mit Mama gemeinsam noch in das Café im Krankenhaus. Wir wollten, dass sie etwas aus dem Zimmer kommt.
Wir blieben gemeinsam bis meine Tante Mama noch besuchen kam. Wir saßen noch etwas zusammen und gingen dann aber los. Sie blieb noch bei ihr. Am Abend schrieb ich Mama wie immer. Ich wollte immerzu wissen wie es ihr geht und was sie macht. Ihr das Gefühl geben, dass man stets bei ihr ist - das war für mich von hoher Relevanz.
Für die weiteren Tage hatte ich geplant täglich zu Mama zu kommen. Wir haben uns in der Familie untereinander abgesprochen, wer wie kommen wird, sodass wir nicht immer alle auf einmal bei ihr waren. Meine Tante und mein Bruder besuchten sie auch so häufig es ging. Ich hatte ab dem 23.10. eine Woche Urlaub und konnte mich frei einteilen - was von großem Vorteil war.
Am 23.10. habe ich Geburtstag. Auch war der 23.10. dann dieser Montag, an welchem das MRT bei Mama stattfinden sollte. Mir ging es an diesem Tag unglaublich schlecht. Ich hatte Angst. Angst vor dem was uns nun erwarten würde. Ich hatte mir an diesem Tag auch so sehr gewünscht, ich könne meinen Geburtstag einfach "auslöschen". Ich schrieb morgens auf Whatsapp noch in den Status, dass ich an diesem Tag keine Anrufe annehmen möchte und habe um Verständnis gebeten. Ich fuhr erst gegen Mittag zu Mama mit dem Gedanken, dass höchstwahrscheinlich morgens die Untersuchungen usw. gemacht werden würden. Ich kam an und ging vorerst zum Stationszimmer. Ich wollte mich über Neuigkeiten erkundigen. "Das MRT ist gelaufen. Es war bereits ein Arzt bei ihrer Mutter", so hieß es. Ich bedankte mich und ging direkt zu Mama.
Sie saß auf dem Bett, das Mittagessen vor ihr. Sie freute sich mich zu sehen. Ich setzte mich neben sie und fragte sie, was der Arzt sagte. Mama konnte mir das aber leider nicht wiedergeben. Ich war in diesem Moment ohne Feingefühl. "Wie du weißt das nicht? Es war doch ein Arzt da. Man hat doch mit dir gesprochen, Mama", so meine Reaktion - Obwohl ich wusste, dass Mamas kognitive Funktion bzw. die Auffassungsgabe eingeschränkt war. Ich habe mich im Nachhinein reflektiert und erkannte meine Unart. Es waren meine überladenen Emotionen. Ich fühlte mich unfassbar schlecht. Ich fragte Mama, ob sie nochmal später in die Caféteria wolle, um von dieser Situation abzulenken. Mama stimmte den Besuch der Cafeteria zu. Ich ging folglich nochmals an das Stationszimmer und erläuterte die Sachlage, dass Mama mir keine Information wiedergeben kann. Das Personal blieb freundlich und gab mir die Möglichkeit mich in eine Sprechstunde am nächsten Tag eintragen zu lassen, da die Ärzte nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Ich musste mich damit zufrieden geben. Ich kannte diese Umstände aus dem Klinikbereich - trotzdem störte es mich, dass ich nichts Aktuelles wusste.
Auch an diesem Tag kamen meine Tante und mein Bruder noch bei Mama vorbei. Ich ging nachmittags los nach Hause. Ich musste unseren Sohn abholen von der Tagesmutter. Ich stattete den anderen noch Bericht.
Mama wusste übrigens nicht, dass dieser Tag mein Geburtstag war. Ich habe es aber auch nicht erwartet, dass sie daran denkt - selbst wenn sie es gekonnt hätte, abgesehen von der kognitiven Einschränkung durch den Tumor. Um mit dem engsten Kreise im Austausch zu bleiben und die anderen auf dem Laufenden halten zu können, erstellte ich noch eine Gruppe. Wir verständigten uns zudem nach jedem Besuch jeweils gegenseitig wie es Mama erging.
Es stand der Folgetag an nach dem MRT. Es war Dienstag. Ich fuhr direkt morgens nach dem Absetzens unseres Sohnes bei der Tagesmutter wieder zu Mama. Ich ging zu ihr und sagte ihr Bescheid, dass ich ein Gespräch habe mit den Ärzten. An diesem Tag war ich überrascht! Mama drückte mich und sagte "Ich habe deinen Geburtstag vergessen!". Ich bekam Tränen in die Augen. Ich sagte ihr. dass es doch ganz klar sei bei all dem Trubel und dass ich so gehofft habe, dass sie ihn vergisst.
Es fand die Visite der Ärzte statt. Sie fragten wer ich bin. Ich stellte mich vor und erläutere nochmals die Situation, dass Mama mir bzw. uns nicht alles sachgemäß wiedergeben kann. Die Ärzte waren sehr nett und berichteten nochmal was genau im MRT zu sehen war und dass sie anstreben eine OP durchzuführen, sofern Mama dem zustimmen würde. Wir saßen nebeneinander. Ich hielt Mamas Hand ganz fest. Sie schaute mich an. Sie schaute zu mir. "Ja, das mach ich". Ich lächelte sie an. Ich nickte und verlor dann doch ein paar Tränen vor Mama. Eine Ärztin klopfte Mama auf die Schulter. Ich fragte, ob ich trotzdem nochmal mit in die Sprechstunde kommen kann, auch wenn ich nun etwas Info erhielt. Sie stimmte dem zu.
Gegen Mittag war es dann soweit. Es war mir möglich nochmal ganz anders mit den Ärzten zu kommunizieren als vor Mama. Ich konnte einige Fragen stellen und mir kam man auf Augenhöhe entgegen. Ich zitterte. Der Chefarzt versuchte mich etwas herunterzubringen und gab mir etwas Mut, auch wenn das Gespräch nicht positiv geprägt war.
Es fiel dann auch das Datum, wann die OP stattfinden wird. Es sollte der Donnerstag werden. Ich hatte zum einen so Angst, aber auch Hoffnung. Es gab vorerst einen Lösungsansatz. Mama kann operiert werden. Er sagte schon: "Nicht alle haben die Chance auf eine OP!". Somit war ich in diesem kurzen Augenblick einfach mal dankbar für die Nachricht, dass es ein operabler Tumor ist.
Ich ging wieder zu Mama. Ich gab ihr auch hier nochmal einen "Nachbericht" und erzählte ihr über das Gespräch. Ich wollte ihr weiterhin Mut zusprechen und formulierte den Sachverhalt positiv.
Wieder gab ich die Nachricht an die anderen weiter.
Alle waren für diesen Moment froh, dass es diese Möglichkeit der OP gab.
Diese "gute Nachricht" in all diesem Chaos lies uns nun etwas durchatmen, aber wir waren selbstverständlich alle weiter angespannt. Jedem war bewusst, um was es hier geht und wir wussten immer noch nicht, um was für einen Tumor es sich genau handelt. Dass unsere Stimmung am nächsten Tag wieder kippen würde, wussten wir zu dieser Zeit noch nicht.
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